Der Mann mit der Laterne
„Ist dir kalt?“ Es war kalt. „Soll ich dir eine Jacke geben?“ Sie nickte stumm und nahm die Jacke an.
Sie schaute ihn nicht an, murmelte nur ein kurzes „Dankeschön“ und wollte gehen. Doch ihr Blick verfing sich in seiner Laterne und sie blieb hängen. Er schaute sie besorgt an. „Geht`s dir gut“?
Sie nickte wieder, doch er glaubte ihr nicht. „Du siehst aber gar nicht gut aus!“ Sie betrachtete sich in einer nahegelegenen Pfütze: kaputte Schuhe, ein schmutziges Kleid, zerzauste Haare. Dazu kam noch, dass es den ganzen Tag lang geregnet hatte. Nur die Jacke sah gut aus.
„Er hat Recht“, dachte sie, aber sie hatte zu viel Angst es zu sagen. Sie dachte daran, einfach loszulaufen und im Dunkel der Nacht zu verschwinden. Doch irgendwie war er anders als die Menschen, die sie jagten und schlugen, nur weil sie kein Zuhause hatte.
„He, bist du stumm?“ Sie fuhr zusammen. Ihn hatte sie über ihre Gedanken völlig vergessen. Mitfühlend sah er sie an. „Du brauchst doch keine Angst zu haben. Schau, ich war selber genauso wie du. Ich weiß, wie du dich fühlst.“ Sie schaute ihn fragend an. „Ich weiß, ich weiß, ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich habe auch einmal auf der Straße gelebt. Das ist nicht schön!“ Sie schüttelte den Kopf.
Er sah sich selbst in der Pfütze. Ein Nachwächter: Stiefel, Hose, Mantel, Hut- alles neu und schön warm. Die Lampe- hell und warm leuchtete sie ihm den Weg. Kaum zu glauben, dachte er, dass er es geschafft hatte. Er würde nie den Mann vergessen, der ihm geholfen hatte. Er hatte ihn aufgenommen, großgezogen und mit in die Kirche genommen. „Ein netter Mann“, dachte er. Doch er war nicht mehr da. Eines Tages wurde er zum Nachtwächter gemacht und der Mann verschwand aus seinem Leben.
Ein Hund bellte und riss ihn aus seinen Gedanken. Plötzlich merke er, dass sich das Mädchen an seine Hand klammerte. „Hast du Hunger?“ Sie nickte und schaute in die Laterne. „Dann komm, bei mir Zuhause ist es schön warm. Dort gibt´s auch was zu essen.“ Er schaute ihr ins Gesicht und lächelte sie an, das Mädchen lächelte zurück.
Verfasst von Heidi
Ich liebe deinen Schreibstil. Der direkte Einstieg und das offene Ende gefallen mir besonders. Ich bin begeistert und denke du solltest deine Kurzgeschichte veröffentlichen und einem Verlag schicken!